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Das Männlein und das Keulen-Prinzip

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Vermutlich hat ein dominierendes Gesellschaftsprinzip in den Höhlen der Steinzeit seinen Anfang: Es ist kalt, saukalt sogar, der Wind pfeift um alle Ecken, Männlein und Weiblein starren aus ihrem Felsenloch in die eisige Landschaft hinaus und zu allem Übel schleicht noch ein Säbelzahntiger draußen herum. Das Weiblein zittert also nicht nur vor Kälte, es zittert auch vor Angst.
Da ermannt sich das Männlein, greift nach einer riesigen Keule und haut sie dem Säbelzahntiger in die Schnauze, dass dieser dritte Säbelzähne bräuchte, wenn ihm denn nicht gerade das Fell über die Ohren gezogen und er über dem eilig entfachten Höhlenfeuer geröstet würde.
Darauf wird das Weiblein endlich wieder mal satt, und mit vollem Magen – und so neben dem Höhlenfeuer – kommt romantische Stimmung auf und gesteigerter Vermehrungsaktivität steht nichts mehr im Wege.

Starker Lerneffekt

Das Männlein lernt daraus Folgendes: Bist du stark, haust du einer Bedrohung die Zähne krumm, dann darfst du nachher sehr viel Spaß haben. In der Folge sterben die Säbelzahntiger aus. Und das Männlein hat dank seiner Keule viel Spaß und die Welt bevölkert sich.
Kein Wunder, dass sich das Keulen-Prinzip in den Köpfen der Nachkommen tief verankert. Nur: Die Welt wird allmählich komplexer, und das Keulen-Prinzip offenbart plötzlich die Tendenz, nicht mehr einwandfrei zu funktionieren. Schon vor der Industrialisierung – zu einer Zeit, da die Welt noch kaum technisiert ist ‒ muss man gelegentlich gewärtigen, dass dieses verlockende Handlungsmuster durchaus einen Rückkoppelungseffekt besitzt. So zum Beispiel im Nahen Osten des Mittelalters, wo der fatimidische Kalif al-Hakim zu Beginn des 11. Jh. seine Keule schwingt, die Grabeskirche in Jerusalem zerstört und damit der Region einige Kreuzzüge und einen mehr als 200 Jahr dauernden Unfrieden einbrockt.

So populär wie schon lange nicht mehr

Man könnte jetzt annehmen, dass Vernunft, Sprachkompetenz, Verhandlungsgeschick – durchaus Errungenschaften der Zivilisation – im Laufe der Geschichte zur entschiedenen Entsorgung des Keulen-Prinzips geführt hätten. Doch weit gefehlt. Auch nachdem ein Napoleon im 19. Jh. und ein Hitler im 20. Jh. das Keulen-Prinzip zuoberst auf den Altar ihrer Weltanschauung gehoben haben und damit katastrophal gescheitert sind, erfreut es sich heute noch höchster Beliebtheit. Ja, das Keulenschwingen ist zu Beginn des 21. Jh. so populär wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Das mag verschiedene Ursachen haben – moderne Machträger verdrängen es partout, dass sie eigentlich eine hochentwickelte Spezies repräsentieren, die im Grunde fähig zur Vernunft, Toleranz und Konsens wäre. Oder es mag auch daran liegen, dass Keulen immer raffinierter werden, das Geschäft mit ihnen wohl besser rentiert als alle Goldminen dieser Welt zusammen und die Produzenten allgegenwärtig in sämtlichen Parlamentshinterkammern der westlichen und östlichen Hemisphäre ein- und ausgehen. Und dabei paradoxerweise nicht die Keule schwingen, sondern sehr zivilisiert das Friedenspfeifchen rauchen und es in der Runde der Mächtigen kreisen lassen – damit wenigstens in diesen Räumen heiteres Konsens- und Kooperationsklima zu gedeihen vermag und das Geschäft mit den Keulen weiterhin kräftig prosperiert.

Urs Bigler


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